Artificial Intelligence, Machine Learning, Deep Learning – unser technologisches Vokabular hat sich über die letzten Jahre stetig erweitert und der Trend deutet darauf hin, dass es auch zukünftig so weitergehen wird. All diese wunderschönen Anglizismen umfassen eine Entwicklung, die zwar noch in ihren Kinderschuhen steckt, zeitnah aber einen Paradigmenwechsel einleiten wird. Maschinen werden zwar so schnell nicht „intelligent“ sein. Indes haben sie aber schon einerseits spannende, geradezu aufregende, andererseits erschreckende und besorgniserregende Fertigkeiten erlernt.
Künstliche Intelligenzen können mittlerweile verstehen, sprechen, gar schreiben. Man nennt das Natural Language Generation (NLG). Eine bedeutende Rolle spielen dabei das Unternehmen OpenAI und dessen Software GPT-3. Beide sind mit wichtigen Fragen für mich als Texter, Übersetzer, (Hobby)Journalist und Kommunikationsstratege verbunden: Wird Kommunikation irgendwann rein maschinell vonstatten laufen? Können Maschinen Konzepte und Sinneinheiten verstehen und folglich zusammenhängende Texte ohne menschliche Hilfe schreiben? Werden Texter überflüssig? Übersetzer? Werde ich meiner beruflichen Existenzberechtigung beraubt?
Ein kleiner Exkurs zu OpenAI & GPT-3
OpenAI LP ist ein Unternehmen, das sich mit der Erforschung künstlicher Intelligenz auseinandersetzt. Unter den Geldgebern der Institution befinden sich niemand Geringeres als Zukunfts-Guru Elon Musk und der Tech-Riese Microsoft. Sinn und Zweck: Wege finden, wie künstliche Intelligenz dem Menschen nützt, nicht schadet.
Ein auf dem ersten Blick äußerst harmloses, gar wünschenswertes Projekt des Forschungszentrums stellt die KI der GPT-Textgeneratoren-Serie (Generative Pretrained Transformer) dar. Nachdem schon GPT-2 automatisiert Texte verfasste, die nur schwer von menschengeschriebenen unterschieden werden konnten, wurde mit GPT-3 nun eine optimierte Version im Mai 2020 vorgestellt.
Die (fast) Meisterleistung im Guardian
Die Online-Ausgabe der britischen Tageszeitung The Guardian hat es sich nicht nehmen lassen, das Ding auszuprobieren und für ein kleines Schreiberlings-Erdbeben gesorgt.
Die KI hat tatsächlich einen Essay zum Thema „Wieso KI keine Gefahr für die Menschheit darstellen und auch nie werden“ geschrieben. Diese Meldung ließ Philosophen, Linguisten, Futuristen und wie sie sonst alle heißen mit offenen Mündern zurück, erhielt aber alsbald einen Dämpfer: Der Text in allen Ehren, aber wie der Guardian selbst angibt, entstand der eine Essay aus acht anderen, die schließlich per Menschenhand zusammengefügt und redigiert wurden. Wir schrieben September 2020. Seitdem ist es still um GPT-3 und Konsorten geworden. Der Aufstand der Maschinen lässt noch auf sich warten.
Obwohl eine kleine Enttäuschung, die ich nichtsdestotrotz mit einem schadenfrohen Mundwinkelanheben untermalt habe, bietet sich diese Angelegenheit geradezu als Paradebeispiel für eine Prognose der Kommunikationsbranche ohne Gewähr an. Welche Vorteile haben KI? Welche Nachteile bringen sie unweigerlich mit?
Selbstschreibende KI in der Kommunikation: Die Vorteile
Fehlerfrei
Es tut weh, aber auch als Profi passieren (dumme) Fehler. Seien es Buchstabendreher, eine Akkusativ-Dativ-Verwirrung, manchmal denke ich einen Satz anders zu Ende, als ich ihn angefangen habe. Ja, unser Gehirn spielt uns manchmal Streiche. Streiche, vor denen Software gefeit ist, da nicht darauf programmiert. Die Buschtaben foglen der richitgen Reihenfolge, die KI gibt Text immer aus, ohne dem Fall zu vertauschen, und Sätze enden so, wie ich gedacht waren. Nun ist diese Geradlinigkeit zwar gleichzeitig symptomatisch für die Grenzen, die der KI gesetzt sind, da eben auch künstliche, absichtlich hinzugefügte Abschweifungen nicht vorkommen; Texte „mit Handschrift“ darf man sich nicht erwarten. Auf fehlerfreie darf man sich aber freuen.
Kohärenz
Es gibt nichts Schlimmeres, als einen Text, der hinten und vorn nicht zusammenhängt. Einen Text, bei dem kein roter Faden zu erkennen ist, bei dem am Ende nichts Sinnvolles herauskommt. Ein Text, der gar so inkohärent ist, dass der Schluss nichts mehr mit dem Anfang gemein hat. Um solche Missstände zu umgehen, hat der Grammatik-Gott Wunderbares wie Absätze, Zwischenüberschriften oder klar vorgegebene Textstrukturen kreiert – Regeln also. Und was liebt ein Programm mehr als Regeln? Da die Textproduktion mit KI wohl durch vorherige Eingabe von Keywords für die verschiedenen Sinneinheiten funktionieren wird, werden die Inhalte genau da stehen, wo sie sollen. Gerade bei standardisierten (oder standardisierbaren) Texten wäre die KI eine große Hilfe.
Titel
Einen letzten Vorteil kann man sich gerade im SEO-Texten erwarten. Mit den ganzen anderen Vorteilen rund um die vorangehende Keyword-Eingabe profitieren meine Kolleginnen und ich, die es nicht so mit Titel schreiben haben. Titel schreiben kann jeder – gute Titel schreiben ist hingegen eine Kunst für sich. Schwierig gestaltet es sich vor allem dann, wenn gewisse Keywörter unbedingt vorkommen müssen, Stichwort H1 und H2. Natürlich lässt sich ein simpler Titel auch bei mir aus dem Ärmel schütteln. Aber eine KI könnte mir eine Reihe an Vorschlägen geben, darunter vielleicht auch einige einzigartige, kreative Headlines.
Selbstschreibende KI in der Kommunikation: Die Nachteile
Textfluss
Ein Text muss immer redigiert werden. Denn der Autor sieht viele Fehler einfach nicht. Er liest den Text als Verfasser mit einer gewissen Selbstverständlichkeit. Eine KI kann diese Fehler vermeiden. Was man ihr nicht zumuten darf: Dass jeder Satz nahtlos in den anderen übergeht und eine logische Ergänzung des vorangegangenen ist. Der Text muss auf jeden Fall von einem Menschen durchgelesen und korrigiert werden. Bisweilen werden wir Textpartien gänzlich umschreiben müssen.
Form
Sind die kleineren Missgeschicke behoben, kommen wir zu den großen, die wir nur beim Betrachten des großen Ganzen wahrnehmen. Ein Text kann kohärent, fehlerfrei und gut betitelt sein. Dennoch gibt es solche, bei denen den Leser ein komisches, fast unangenehmes Gefühl beschleicht. Die Sätze sind abgehackt, die Aussagen sind nicht ganz rund, das ganze Konstrukt fühlt sich sperrig an. Ich würde dazu „nicht formvollendet“ sagen. Dies kann eine klar subjektive Haltung sein, aber spätestens seit Google Parameter für gute Texte eingeführt hat, wissen wir: Es gibt objektiv gute und objektiv schlechte Texte. Das Gefühl, die Intuition, ja die Empathie dafür haben Maschinen nicht, zumindest nicht so ausgeprägt, dass jeder Text gemäß seiner angedachten Textsorte gut ist. Auf absehbare Zeit wird das auch nicht so sein.
Dialektik
Letzter Punkt: Eine Maschine kann nicht argumentieren, zumindest nicht denkrichtig. Zu fehlendem Gefühl, Intuition und Empathie gesellt sich die fehlende individuelle Erfahrung. Der Artikel vom Guardian will uns zwar eines Besseren belehren, behält man sich aber die Artikel-Collage aus zusammengeflickten Thesen, Antithesen und einer Art Synthese im Hinterkopf, dann verflüchtigt sich diese Vorstellung sehr schnell. Besonders, wenn es in die Dialektik geht - also der Autor seine eigenen Argumente in Frage stellt, um daraus eine höhere Erkenntnis zu gewinnen.
Fazit
Zwar werden KI in Zukunft unglaubliche Fähigkeiten vorausgesagt – viele unglaubliche Fähigkeiten hat sie schon – aber bei dem, was uns Menschen zu Menschen macht, scheint jede Technologie eine unüberwindbare Hürde zu erreichen. Gerade die Kommunikation, Wort und Schrift, hebt uns als Wesen von allen anderen auf der Welt ab.
Das Zusammenfügen von logischen Konzepten wird irgendwann wohl funktionieren und auch meine Branche mit ganz neuen Möglichkeiten ausstatten. Aber gerade nicht ganz so logische, gar unlogische Konzepte, die teilweise für Menschen nicht immer zu greifen sind, sind bis auf Weiteres auch für Maschinen nicht fassbar.